Mehr scherzhaft fingen wir ebenfalls an uns auszumalen, wie es wohl auf der Biskaya sein würde. Aus den wirren Spinnereien wurden immer mehr ernste Überlegungen. Die Jungs waren schon dabei über die Rückreise und die Umbuchung ihrer Flüge nachzudenken, als wir an einem Laden mit Postkarten vorbeikamen. Einer der Ständer hatte fantastische Aufnahmen von Leuchttürmen, an denen sich das Wasser meterhoch brach. Auf der Rückseite las ich „Raz du...“ - das war nicht irgendwo, das war gleich hier um die Ecke. Mir wurde wieder bewusst wie rau und gnadenlos die See sein konnte und wie leicht man dazu neigte sie zu unterschätzen, gerade an einem so warmen und sonnigen Tag wie heute mit einem Eclair in der Hand in einer kleinen, französischen Bucht. In diesem Moment beschloss ich, das wir nicht fahren würden. Es tat mir Leid um die gute Laune und die Euphorie, in die sich die beiden Jungs gesteigert hatten, denn ich konnte sie mehr als verstehen. Auch ich bekam heiße Ohren und ein Kribbeln im Bauch bei dem Gedanken dieses Jahr noch abzulegen.
Ein paar Tage später desertierte ich und gab die Kapitänsmütze an Lorenz und Elias weiter. Ich hatte überlegt, dass es Sinn machen könnte die Biskaya schon einmal erlebt zu haben, als Erfahrung für das nächste Jahr.
Ja und an Erfahrung mangelte es wirklich nicht. Der Wetterbericht war gut gewesen, aber das Wetter selbst hatte anscheinend nicht vor sich daran zu halten. Und während wir mit zweifach gerefftem Groß und kleiner Genua bei 30 Knoten Wind durch die Nacht kreuzten, musste ich an Kristian und Cornelius denken. Für die Schweden hoffte ich, dass sie schon angekommen waren und für Kristian, dass er noch nicht los gefahren war. Es war keine Angst, die ich hatte und ich fühlte mich auch nicht unwohl auf dem riesigen Schiff, es war eine ganz andere Art von Erfahrung, die ich machte. Die vier Tage waren mir vorgekommen, wie ein Monat. Wenn ich bisher mehrere Tage auf dem Wasser gewesen war, hatte ich vielleicht ein wenig die Zeit verloren, aber das war etwas anderes. Wir teilten uns zu zweit die Wachen und immer, wenn ich meine übernahm, hatte sich das Wetter erneut komplett verändert. Jedes Mal fühlte es sich an, wie an einem anderen Ort zu sein, zu einer anderen Zeit, obwohl das einzige was sich änderte, die Höhe der Wellen war. Ansonsten befanden wir uns einfach in der Mitte einer riesigen Scheibe, die je nach Wetterlage mal größer und mal kleiner wurde. Dazu kam noch, dass wir am Tag einem halben Schiff begegneten, statistisch gesehen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob wir uns überhaupt vorwärts bewegten. Das Lot zeigte schon lange keine Tiefe mehr an, die Geschwindigkeitsanzeige schien auf 5 Knoten fest getackert und auf dem Kartenplotter war seit drei Tagen die selbe rote Linie auf blauem Hintergrund zu sehen. Als wir nach 86 Stunden den Anker in einer einsamen Bucht vor Vivero fallen ließen, konnte ich nicht glauben, dass wir angekommen waren.
Den nächsten Tag blieben wir dort und genossen es einfach nichts zu tun. Abends setzte Bill dann durch, doch noch an Land zu gehen, um etwas zu essen und so verließen wir die Bucht wieder. Vor dem Hafen lagen ein paar Schiffe vor Anker. Eins von ihnen war klein und gelb und führte eine schwedische Flagge. Fast wäre ich ins Wasser gesprungen vor Freude. Ich überredete Mike einen kleinen Schlenker zur Akka zu machen. Wir nahmen Cornelius und Andi an Bord und fuhren an Land. Dort sammelten wir noch ein holländischen Pärchen ein und schlenderten los in die Stadt. In einer kleinen Gasse fanden wir ein Restaurant. Draußen standen ein paar Tische und Bänke in einem Hof, gerade richtig, dass wir alle Platz hatten. Es hatte etwas von dem Spiel „Café International“, denn an dem Tisch eines spanischen Hinterhofs saßen nun ein holländisches Pärchen, ein Engländer, ein Ire, zwei Schweden, von denen einer eigentlich Schweizer war und ich, ein deutsches Mädchen. Während Lutz, der Holländer, den halben Hof unterhielt, erzählte mir Cornelius von seiner Biskaya. Sie hatten etwas bessere Winde gehabt als wir und waren ohne zu wenden mit einem Schlag durchgefahren, dadurch aber auch sehr weit östlich angekommen. Sie hatten Delphine gesehen und Wale, einen Thunfisch geangelt und dann aus Versehen noch einen Komoran. Angst hätten sie aber nicht gehabt, meinte Andi, die einzige Sorge war gewesen, ob alles halten würde. Aber es hatte alles gehalten und nun waren wir in Spanien und hatten das Mysterium Biskaya hinter uns gelassen.
Es war ein riesiger Zufall gewesen, dass wir uns hier getroffen hatten, denn eigentlich war Vivero nicht der Hafen, den man anlief, wenn man in Spanien erreichte. Aber morgen würden wir schon wieder weiter fahren und die Schweden noch für einen Tag bleiben. Wir setzten die beiden wieder auf ihrem Boot ab und winkten noch einmal.
Vielleicht würde ich eines Tages Cornelius auf seiner kleinen gelben Akka wieder treffen, wie er mit vielen Falten im Gesicht, abends bei Kerzenschein seine Pfeife rauchte, seinen Vodka trank und sich dabei eine neue Gallionsfigur schnitzte.
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