Dienstag, 27. September 2011

Bilder aus Portugal

Jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, habe ich auch endlich die Möglichkeit (Anschluss und Internet) die restlichen Bilder hoch zu laden. Hier nun die letzten Tage meiner Reise an Bord der Akka.
Ich bin angekommen - und hier der Beweis...
eine musikalische Rittertafel in Santiago

Volksfest in Santiago


ebenfalls in Santiago
die berühmte Kathedrale in Santiago, ein Ziel für viele Pilgerer, mit Cornelius und seiner Familie davor

in der Kathedrale
Viana do Castelo


die Kathedrale von Viana do Castelo...

... bietet eine wunderbare Aussicht auf die portugiesische Atlantikküste

die meisten Hausfassaden sind gekachelt, dabei hat jedes ein eigenes Muster
Salzfisch, mit dem man jeden Nagel in die Wand bekommt, so hart wie der Fisch ist

Männer beim Kartenspiel
Cornelius und Josefin auf der Akka

die Akka, eine 7,30m Halber Grassy

auf dem Flughafen von Porto

der Schatten des Flugzeug auf die Wolken unter uns

Bilder aus Spanien

Jetzt, wo ich wieder zu Hause bin, habe ich auch endlich die Möglichkeit (Anschluss und Internet) die restlichen Bilder hoch zu laden. Im Folgenden ein paar Eindrücke aus Spanien und die letzten Tage mit den Engländern.

Bayona bei Nacht


Tagsüber fast unerträglich heiß, wurde es am abends endlich angenehm

Tortilla, Chorizo und Schinken

Mike und ich bei unserem Abschlussabend


die spanische Küste im Morgengrauen

unsere Ankerbucht vor Bayona

Sonntag, 25. September 2011

Der letzte Sommer

Ich sitze auf einer Parkbank in Povoa De Varzim, neben mir Cornelius und Josefin, die beiden Schweden. Sie unterhalten sich über die kommenden Tage auf englisch, damit auch ich sie verstehen kann. Aber ich höre ihnen nicht zu. In diesem Moment, wo es so Vielem zu folgen gibt, verschwimmen ihre Stimmen einfach in dem bunten Singsang der anderen Geräusche. Es ist der letzte Sommertag und auch der letzte Tag meiner Reise. Morgen um 6 Uhr geht mein Flieger und zweieinhalb Stunden später werde ich da sein, wo ich vor zweieinhalb Monaten meine Reise begonnen habe. Es wäre schön, könnte das Flugzeug zwischendurch ein paar Pausen einlegen, nur um sich von oben ein wenig um zu sehen und das Ende noch ein wenig hinaus zu zögern. Doch so wird alles Erlebte auf lächerliche zweieinhalb Stunden zusammen gerafft.Es ist warm, aber die Luft ist feucht. Ein dicker Nebel hängt über dem Hafen, dem Strand und der Stadt. Am Morgen ließ sich vom Steg kaum das Land ausmachen und nun ist immerhin der Umriss der Sonne als helle Scheibe am Himmel zu erkennen. Durch die Blätter der Bäume bricht sich ihr Licht und tanzt über den Boden. Um unsere Füße raschelt das Laub, auch hier wird der Herbst bald kommen. An uns vorbei fliegt ein Ball, ein Junge kommt angerannt, entschuldigt sich auf portugiesisch und wirft ihn vorbei an unseren Köpfen zurück. Ein Dutzend Kinder kreischt laut und stürzt dem Ball hinterher. Weit weg vom Hafen ist eine Sirene zu hören. Sie ist unaufhörlich am heulen, wie bei einem Großeinsatz der Feuerwehr, dabei weist sie den ankommenden Schiffen nur den Weg. Alles ist gedämpft, so als würde der Nebel nicht nur die Sonne und die Farben verschlucken, sondern auch die Geräusche.
Bei einem kleinen Laden um die Ecke haben wir uns ein paar Oliven gekauft. Die grünen sind wunderbar und schmecken ganz nach Sonne, die schwarzen hingegen eher nach Fertigpizza. Drüben in einer Häuserecke sitzen alte Männer um kleine Tische dicht gedrängt in ihr Kartenspiel vertieft. Ihr Gelächter ist über den ganzen Platz zu hören. Irgendwie passen sie zu den Häusern, die uns umgeben. Auch sie sind nicht mehr jung und an vielen Stellen fehlen schon die Kacheln an den Fassaden, doch sieht man ihnen die Schönheit vergangener Tage noch sehr gut an. Jedes hat sein eigenes Muster. Die meisten aber haben feine blaue Ornamente auf weißem Untergrund. Dieser Moment scheint weder Anfang noch Ende zu haben. Ich bin glücklich. Ich bin angekommen und habe gefunden, obwohl ich nicht einmal weiß, nach was ich gesucht habe.

Das ist der vorerst letzte Blogeintrag. Die Tage folgen noch die Fotos der letzten Tage. Ich denke, ich werde im Winter vielleicht wieder etwas erzählen. Die Termine dazu werden dann unter merle-ibach.de/vortraege zu finden sein.

Mittwoch, 21. September 2011

Teatime – ein britisches Vagabundenleben

Das Schiff, auf dem ich mich befand, hieß Raparee, was irisch ist und so viel bedeutet wie Vagabund, also Herumtreiber. Ich denke allerdings, der Name kann vor allem als Kampfansage betrachtet werden. Die Crew der Raparee bestand aus den zwei Vollblutseglern Bill und Mike und versucht einer den Stereotypen eines britischen Seglers festzulegen – voilà, hier war er, verkörpert durch zwei ehemalige Mitglieder der Royal Navy. Selbstverständlich herrschte an Bord eine gute Seemannschaft, wie sie selbst Freiherr von Knigge nicht besser beschreiben könnte.

Die folgende Geschichte ist dennoch frei erfunden und lediglich in manchen Dingen von den Beiden inspiriert worden.

Pünktlich um 8 Uhr pfeift der Kessel – der Tee ist fertig. Der englische Seemann öffnet langsam erst ein Auge, dann das andere. Er hat noch eine Minute zum Aufwachen, denn er hat den Kessel inzwischen soweit erzogen, dass er den Tee selbst zubereitet: 2,5 Minuten gezogener Darjeeling für ihn mit einem Schuss Milch, aber nicht zu viel, und 1,5 Minuten gezogen für den Anderen, ohne Milch aber mit two Sweeteners, please.
Er steht auf, wechselt seinen Pyjama gegen eine légère Leinenhose in rot, ein Poloshirt in blau, ein paar Socken in weiß und dazu ein paar bequeme Moquasins aus Leder. Mit einem kritischen Blick in den Spiegel gibt er sich die Erlaubnis seine Kabine zu verlassen. Den Tee in der Hand verlässt er kurz darauf die Pantry und streckt seinen Kopf aus dem Niedergang, zieht ihn jedoch schon im nächsten Moment wieder zurück, denn er hat etwas vergessen. Auch wenn es hier im Süden schon längst Herbst ist, scheint die Sonne gnadenlos auf ihn herab. Er entscheidet sich, lieber erst einmal zu frühstücken. Mit seiner zweiten Tasse Tee steht er am Herd, rührt den Haferschleim (Porridge) im Topf herum und mit seiner dritten Tasse Tee setzt er sich mit dem Anderen in den Salon zum Essen. Während des äußerst schmackhaften Frühstücks lauschen sie dem Wetterbericht aus dem Funkgerät. Dann der Übertragung auf Kurzwelle. Dann dem Navtex. Und schließlich noch dem Bericht des BBC per Weltempfänger. Doch alle sind sich einig: Aus West sind 20 Knoten Wind angesagt – abnehmend. Das ist ganz schön viel, denkt er sich, dann können sie wohl erst später ablegen, doch wird das die ganze Planung verschieben. Zur Beruhigung trinkt er eine weitere Tasse Tee. Doch wissen sie, den freien Vormittag gut zu nutzen, because they've got so many jobs to do. So müssen sie dringend die Erste-Hilfe-Kästen neu ordnen. Die nächsten drei Stunden holen sie alle Kleinigkeiten, all die Pflaster und Verbände, die Scheren und Klebestreifen, die Pillen und die Zäpfchen aus den Taschen, sortieren sie nach Farbe und Verpackungsgröße neu und räumen alles wieder ein. Zufrieden greifen sie zu ihrer dampfenden Tasse Tee. 
Sie sind gerade rechtzeitig fertig geworden, denn es ist höchste Zeit zum Lunch. Die letzten Tage hatten sie immer sehr viel zu tun gehabt und so gibt es heute lediglich sell-by-food, eben alles, was die Bordküche noch hergibt: Kartoffeln, Baked Beans, Mais, Corneed Beef und ein Fertigcurry aus der Dose, empfohlen von Starkoch Jamie Oliver. Alles gart zusammen in einem Topf vor sich hin. Mehr Platz ist auch nicht, denn die andere Flamme belegt der Kessel mit Wasser. Mit dem Pork Pie und einer Tasse Tee als Nachtisch haben sie nun genug Energie für die bevorstehende Reise gesammelt. Noch einmal möchte er an seinem Tee nippen, doch stellt er seine Tasse abrupt wieder hin. Hat er doch vergessen, dem Hafenmeister Trinkgeld zu geben. Und - oh Schreck - hat keiner von ihnen auch nur eine Euromünze mehr. Eine Tasse Tee lang grübeln sie nun, eine Lösung aus ihrer Misere zu finden. Dann hat der Andere eine grandiose Idee: Er bewaffnet sich mit Sonnencreme, Sonnenbrille und Sonnenhut, wagt den ersten Schritt des Tages nach Draußen in die grelle Mittagssonne und tritt seine Mission an. Im Hafenrestaurant, gerade die Pier hoch, bestellt er sich einen Tee. Mit dem Wechselgeld geht er anschließend zum Hafenmeister, lässt ihm unauffällig das Trinkgeld da und kehrt zurück zum Boot – und wieder einmal hat der Anstand gesiegt. 
Der Wind hat inzwischen abgenommen. Noch einmal gehen sie ihre Checkliste durch. Das Wetter ist gut, unter Deck ist alles sicher verstaut, die Batterien sind aufgeladen, das Wasser ist nachgefüllt, genug Diesel ist im Tank und in den Reservekanistern, die Segel sind angeschlagen, die heutige Route geplant, Karten, Kartenplotter und Tee stehen bereit – es kann los gehen. Mit einer Tasse in der Hand wirft er den Motor an, der Andere löst die Leinen und sie legen ab. Noch ein paar Meilen motoren sie, bis der Kurs anliegt und sich auch sicher alles beruhigt hat. Dann endlich geht der Andere runter um neues Wasser aufzusetzen – das haben sich die Beiden nun auch wirklich verdient! 14,6 Seemeilen und 2:34 Stunden später kommen sie an ihrem heutigen Zielhafen an. Der Wind hatte mit der Zeit so sehr nachgelassen, dass es sich nicht lohnte, die Segel zu hissen, weshalb sie nun direkt unter Motor einfahren können. Nach einem aufregenden Anlegemanöver und einem netten Small-Talk zu ihren neuen Nachbarn machen sie sich ausgehfertig zum Dinner. Heute wollen sie auswärts essen, um die kulinarischen Besonderheiten des Landes kennen zu lernen. Im Hafenrestaurant bestellen sie mutig die Spezialitätenplatte, obwohl sie nicht einmal genau verstanden haben, was sie eigentlich enthält; und einen Tee. Als der Kellner sie bringt und ein Buen provecho! wünscht, gucken die Beiden fragend erst das vor ihnen Liegende an, dann sich. Es ist ein riesiger flacher Stein mit allerhand rosa bis dunkelroten Wurstsorten darauf und ein paar Stücken harten Brot - kein Grün, kein Salat, kein Dip und der Tee riecht mindestens genauso so kulinarisch. Aus Höflichkeit probieren sie von allem ein wenig und geben zu jedem einen zustimmendes Hmm..., bevor sie ihr Dinner frühzeitig für beendet erklären. Dem Kellner lassen sie ein Extratrinkgeld da, entschuldigen sich vielmals und beteuern, dass sie einfach nicht genug Hunger gehabt hätten. Müde, aber auch stolz über das heute erlebte spazieren sie zu ihrem Boot zurück. Das Einzige, was sie jetzt noch brauchen, bevor sie in ihre Pyjama schlüpfen, ins Bett gehen und ihren Tagebüchern von ihren Erlebnissen berichten, ist eine schöne Tasse frisch zubereiteter Irish Coffee.

Und eine kleine Randnotiz: Ich bin in Portugal! Aber dazu in den nächsten Tagen mehr.

Sonntag, 18. September 2011

Zeitzeichen

Ich wusste schon länger, dass da etwas war – irgendwo, irgendwas. Gestern Morgen im Bad hab ich es dann entdeckt. Ich wollte mir nur die Zähne putzen und auch wenn die Tube schon fast leer war hoffte ich, dass es noch dieses eine Mal reichen würde. Doch anstatt der sonst so vertrauten weiß-blauen Paste mit dem belebenden Duft frischer Minze, kletterte ein kleines Männlein mit Hut auf die Borsten meiner Bürste. Es musterte mich kurz, stützte seine kleinen Ärmchen in die Seite, legte den Kopf schief und zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

Guten Tag Merle, wir haben uns ja lange nicht mehr gesprochen, aber ich hatte mir gedacht, dass es mal wieder an der Zeit ist. Wo sind wir eigentlich gerade?
In Baiona, südlich von La Coruna.
Aha und was machen wir hier?
Naja, gerade habe ich meine Wäsche gewaschen und jetzt wollte ich an sich meine Zähne putzen.
Das meine ich nicht. Du wolltest doch nur einmal über die Biskaya und dann von La Coruna aus wieder zurück zum Boot! Du bist ganz schön inkonsequent. Irgendwann ist auch einfach mal Schluss!
Ich möchte aber noch nach Portugal.
Portugal? Aber da fährst du doch nächstes Jahr eh nochmal hin. Musst du nicht irgendwann auch wieder zurück? Und was ist überhaupt mit deinem Boot?
Auf der Biskaya hatte ich genug Zeit zum Nachdenken und da habe ich beschlossen, dass ich mit meinem Boot dort nicht rüber möchte und habe letztendlich den kompletten Plan geändert. Das heißt natürlich auch, dass ich Portugal im nächsten Jahr nicht mehr erreichen werde.
Ja, ist dann halt so!
Richtig, aber jetzt bin ich hier schon einmal in der Ecke und da Cornelius, der Schwede, mich gefragt hat, ob ich Lust hätte mit ihm weiter zu segeln, hat sich das einfach gerade so angeboten. Ich hatte von Anfang an vorgehabt zwei, bis zweieinhalb Monate unterwegs zu sein, also bin ich noch voll im Rahmen und die Uni beginnt erst Mitte Oktober wieder, also in einem Monat.
Und dein Boot?
Das bleibt bis zu den nächsten Sommerferien in Brest und wird nächstes Jahr dorthin gesegelt, wo es vor 41 Jahren gebaut wurde, nach La Rochelle.

Das kleine Männlein verdreht seine Augen. Wie schrecklich kitschig ich wäre, meint es.
Es kramt aus seinem Jackett eine kleine goldene Taschenuhr hervor, klappt sie auf, nickt kurz, packt sie wieder weg und schaut mich an. Es sei in wenigen Tagen mit dem Sandmann verabredet und bis dahin wäre es noch ein weiter Weg. Es wünscht mir einen schönen Tag, hüpft von meiner Zahnbürste und ist verschwunden. Irgendwo hat es Recht, langsam ist die Zeit wirklich gekommen. Ich bin bereits viel weiter, als ich es eigentlich geplant hatte und mir ist klar, dass alles sein Ende hat. Die letzten Tage auf der Akka zu verbringen ist das beste, was ich mir dafür vorstellen kann.

Donnerstag, 15. September 2011

Wenn die Gänse nach Süden fliegen...


Auf Guernsey, einer kleinen Insel unter britischer Verwaltung, lag im Hafen ein kleines gelbes Boot mit schwedischer Flagge. Es sah aus, wie ein Internationales Folkeboot für Kinder und hieß Akka. Wer auch immer damit unterwegs war, es musste ein komischer Kauz sein. Ich stellte mir einen vollbärtigen alten Mann vor, mit vielen Falten im Gesicht, der abends bei Kerzenschein seine Pfeife rauchte, seinen Vodka trank und sich dabei eine neuen Gallionsfigur schnitzte. Er würde Karlson heißen, oder Björnson, und auf dem Weg sein nach Süden, um im Warmen seinen Lebensabend zu verbringen. Vielleicht auf den Kap Verden, oder in der Karibik.
In Camaret sur Mer lernte ich den Kauz dann kennen, als ich mit Kristian gerade über die Essbarkeit von Algen aus dem Hafenbecken diskutierte. Der Kauz hieß Cornelius und war 23. Tatsächlich war sein Boot noch ein wenig kleiner als ich es erwartet hatte. Es war eine Missil und wohl die kleinste Halberg Rassy, die je gebaut wurde. Gerade mal 24 Fuß maß sie, das waren 7,30 Meter. Nicht einmal ich konnte in seinem Boot stehen und wenn sich Zwei gegenüber saßen, würde sich einer wohl überlegen müssen, wohin er seine Beine verstaute. Cornelius war mit seinem Vater Andi unterwegs. Sie kamen aus Aahus und wollten wirklich nach Süden, allerdings nicht, um dort ihren Lebensabend zu verbringen, dafür was es noch zu früh. Sie wollten auch nach Portugal, nur im Gegensatz zu mir noch in diesem Jahr. Das bedeutete, sie würden noch in diesem Jahr die Biskaya überqueren, so wie Kristian, obwohl es schon Anfang September war und das Wetter von Tag zu Tag unbeständiger wurde. Ich wusste nicht, ob ich die beiden für mutig oder naiv halten sollte, beeindruckt war ich trotzdem. Noch beeindruckender war aber die Überzeugung, mit der sie an ihrem Plan festhielten. Sie hatten sich vorgenommen am Sonntag um 10 Uhr auszulaufen und am Sonntag um fünf nach zehn war das kleine gelbe Boot aus dem Hafen verschwunden. Ich war gerade noch am Frühstücken und etwas zu verknittert, um die Aufbruchstimmung zu bemerken, die sie hinterlassen hatten. Aber Kristian wurde langsam unruhig, Er hatte beschlossen noch ein paar Tage zu warten, weil das Wetter zu wechselhaft war, um einhand mit einem Katamaran los zu ziehen. Aber auch er würde bald ablegen und dann waren wir die Zurückgelassenen.
Mehr scherzhaft fingen wir ebenfalls an uns auszumalen, wie es wohl auf der Biskaya sein würde. Aus den wirren Spinnereien wurden immer mehr ernste Überlegungen. Die Jungs waren schon dabei über die Rückreise und die Umbuchung ihrer Flüge nachzudenken, als wir an einem Laden mit Postkarten vorbeikamen. Einer der Ständer hatte fantastische Aufnahmen von Leuchttürmen, an denen sich das Wasser meterhoch brach. Auf der Rückseite las ich „Raz du...“ - das war nicht irgendwo, das war gleich hier um die Ecke. Mir wurde wieder bewusst wie rau und gnadenlos die See sein konnte und wie leicht man dazu neigte sie zu unterschätzen, gerade an einem so warmen und sonnigen Tag wie heute mit einem Eclair in der Hand in einer kleinen, französischen Bucht. In diesem Moment beschloss ich, das wir nicht fahren würden. Es tat mir Leid um die gute Laune und die Euphorie, in die sich die beiden Jungs gesteigert hatten, denn ich konnte sie mehr als verstehen. Auch ich bekam heiße Ohren und ein Kribbeln im Bauch bei dem Gedanken dieses Jahr noch abzulegen.
Ein paar Tage später desertierte ich und gab die Kapitänsmütze an Lorenz und Elias weiter. Ich hatte überlegt, dass es Sinn machen könnte die Biskaya schon einmal erlebt zu haben, als Erfahrung für das nächste Jahr.
Ja und an Erfahrung mangelte es wirklich nicht. Der Wetterbericht war gut gewesen, aber das Wetter selbst hatte anscheinend nicht vor sich daran zu halten. Und während wir mit zweifach gerefftem Groß und kleiner Genua bei 30 Knoten Wind durch die Nacht kreuzten, musste ich an Kristian und Cornelius denken. Für die Schweden hoffte ich, dass sie schon angekommen waren und für Kristian, dass er noch nicht los gefahren war. Es war keine Angst, die ich hatte und ich fühlte mich auch nicht unwohl auf dem riesigen Schiff, es war eine ganz andere Art von Erfahrung, die ich machte. Die vier Tage waren mir vorgekommen, wie ein Monat. Wenn ich bisher mehrere Tage auf dem Wasser gewesen war, hatte ich vielleicht ein wenig die Zeit verloren, aber das war etwas anderes. Wir teilten uns zu zweit die Wachen und immer, wenn ich meine übernahm, hatte sich das Wetter erneut komplett verändert. Jedes Mal fühlte es sich an, wie an einem anderen Ort zu sein, zu einer anderen Zeit, obwohl das einzige was sich änderte, die Höhe der Wellen war. Ansonsten befanden wir uns einfach in der Mitte einer riesigen Scheibe, die je nach Wetterlage mal größer und mal kleiner wurde. Dazu kam noch, dass wir am Tag einem halben Schiff begegneten, statistisch gesehen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob wir uns überhaupt vorwärts bewegten. Das Lot zeigte schon lange keine Tiefe mehr an, die Geschwindigkeitsanzeige schien auf 5 Knoten fest getackert und auf dem Kartenplotter war seit drei Tagen die selbe rote Linie auf blauem Hintergrund zu sehen. Als wir nach 86 Stunden den Anker in einer einsamen Bucht vor Vivero fallen ließen, konnte ich nicht glauben, dass wir angekommen waren.
Den nächsten Tag blieben wir dort und genossen es einfach nichts zu tun. Abends setzte Bill dann durch, doch noch an Land zu gehen, um etwas zu essen und so verließen wir die Bucht wieder. Vor dem Hafen lagen ein paar Schiffe vor Anker. Eins von ihnen war klein und gelb und führte eine schwedische Flagge. Fast wäre ich ins Wasser gesprungen vor Freude. Ich überredete Mike einen kleinen Schlenker zur Akka zu machen. Wir nahmen Cornelius und Andi an Bord und fuhren an Land. Dort sammelten wir noch ein holländischen Pärchen ein und schlenderten los in die Stadt. In einer kleinen Gasse fanden wir ein Restaurant. Draußen standen ein paar Tische und Bänke in einem Hof, gerade richtig, dass wir alle Platz hatten. Es hatte etwas von dem Spiel „Café International“, denn an dem Tisch eines spanischen Hinterhofs saßen nun ein holländisches Pärchen, ein Engländer, ein Ire, zwei Schweden, von denen einer eigentlich Schweizer war und ich, ein deutsches Mädchen. Während Lutz, der Holländer, den halben Hof unterhielt, erzählte mir Cornelius von seiner Biskaya. Sie hatten etwas bessere Winde gehabt als wir und waren ohne zu wenden mit einem Schlag durchgefahren, dadurch aber auch sehr weit östlich angekommen. Sie hatten Delphine gesehen und Wale, einen Thunfisch geangelt und dann aus Versehen noch einen Komoran. Angst hätten sie aber nicht gehabt, meinte Andi, die einzige Sorge war gewesen, ob alles halten würde. Aber es hatte alles gehalten und nun waren wir in Spanien und hatten das Mysterium Biskaya hinter uns gelassen.
Es war ein riesiger Zufall gewesen, dass wir uns hier getroffen hatten, denn eigentlich war Vivero nicht der Hafen, den man anlief, wenn man in Spanien erreichte. Aber morgen würden wir schon wieder weiter fahren und die Schweden noch für einen Tag bleiben. Wir setzten die beiden wieder auf ihrem Boot ab und winkten noch einmal.
Vielleicht würde ich eines Tages Cornelius auf seiner kleinen gelben Akka wieder treffen, wie er mit vielen Falten im Gesicht, abends bei Kerzenschein seine Pfeife rauchte, seinen Vodka trank und sich dabei eine neue Gallionsfigur schnitzte.

Dienstag, 13. September 2011

Bill, Mike and the Tapir



von Deserteuren und irischen Ritualen

Bei unserem letzten gemeinsamen Abendessen in Camaret fasste Kristian die Gesamtsituation sehr treffend zusammen.





Wir waren mitten auf der Biskaya, als Mike plötzliche eine Flasche Rum und ein irisches Buch rausholte. An dieser Stelle war vor einigen Jahren sein erstes Boot untergegangen und damit das nicht noch einmal geschah, sprach er nun einen Toast aus und versuchte die Meeresgötter gnädig zu stimmen - beruhigend.




Und wie gehts jetzt weiter? - Überraschung, das wird noch nicht verraten! Erstmal noch zwei Tage nach Süden Richtung Vigo, dann steht die große Entscheidung aus. Dazu aber später.

tapas, torres y amigos - rückwärts

Eben sind wir in Camarino angekommen, das Wetter ist leider auch hier langsam herbstlich.
Wenn man nachts unterwegs ist muss man aufpassen, dass man keins der kleinen Fischerboot übersieht. Das hier ist noch eins der größten.
Das weiße Licht kommt von einem der ältesten Leuchttürme Europas. Er wurde ca. 110 n. Chr. gebaut.

Bill checkt das Sicherheitsequipment. In der Rettungsweste war nicht nur dieses praktische Mützchen enthalten, sondern auch noch ein Nasenclip.

Der Mast war dann doch etwas höher als erwartet. Zum Glück war ich doppelt gesichert.

Fast ganz oben. An der Spitze habe ich mich nicht mehr getraut die Kamera auszupacken.

Vivero, ein kleines süßes Fischerdörfchen.

Multikulturelles Abendessen in einem spanischen Hinterhof.

 
Die Galerien an den Häusern sind typisch für die Gegend.
Unsere erste spanische Bucht nach vier Tagen Biskaya.
Land in Sicht!

Sonntag, 11. September 2011

A Day in the Bay of Biscay

Der Kessel beginnt zu pfeifen. Ich liege auf der Steuerbordkoje im Salon, den Kopf Richtung Bug, es ist drei Uhr nachts. Wir befinden uns auf der Biskaya irgendwo zwischen Frankreich und Spanien. Hinter uns liegen bereits zwei Tage und eine Nacht, unter uns mehr als 4000 Meter Tiefe und vor uns der offene Atlantik. Doch unser Ziel heißt La Coruna. Deshalb hoffen wir, dass der Wind langsam dreht und wir mehr Meilen Richtung Süden machen können.

Es gibt fünf Dinge an denen sich eindeutig erkennen lässt, dass wir uns auf einem britischen Schiff befinden. Zum einen natürlich die britische Nationale, the Union Jack, die am Heck ausweht. Dann das vorbildliche Einhalten jeglich möglicher Sicherheitsvorschriften - noch nie habe ich so viele Feuerlöscher, EPIRBs und erste-Hilfe Taschen an Bord einer Yacht gesehen. Weiter das Frühstück bestehend aus Porridge oder Crumbled Eggs with Fried Bacon and Toast und dazu das meist diesig nasse Wetter. Aber das Wichtigste ist der Tee, den es zu jedem Wachwechsel gibt. Das Pfeifen des Kessels ist zu einer Art pavlov'scher Wecker geworden, so wie auch jetzt. Ich ziehe meine Sachen an, die noch etwas klamm sind, nehme meine Fleecedecke und setze mich unter die Sprayhood, so dass mir etwas frischer Wind um die Nase weht zum wach werden und ich trotzdem den Radarschirm unten im Blick habe. Das Steuern hat schon vor einiger Zeit Annie übernommen, der Autopilot. “The Biscay is no place to hang around.“, ist Mike's Kommentar, als er den Motor dazu startet, weil der Wind immer schwächer wird. Dass der Autopilot nicht Arthur heißt sondern Annie, dafür habe ich mich eingesetzt – irgendwer muss ja hier die Frauenquote hoch halten.
An Wetter hatten wir schon fast alles. Von Sonnenschein und kein Wind, zu Sonnenschein bei 8 Beaufort und Welle, über Regen und Nebel bei gleicher Windstärke, zu Nebel ohne jeglichen Wind, mal mit Welle, mal ohne – so wie jetzt. Zu sehen ist rein gar nichts. Selbst die Positionslichter am Bug werden von Nebel eingehüllt. Dazu nieselt ein ganz feiner Regen. Deshalb wird es meine Aufgabe sein, die nächsten drei Stunden den Radarschirm zu bewachen, der schwarz-grün flimmert. Ob man auf ihm wohl Pacman spielen kann? Der gleiche Jahrgang müsste es sein.
Mein Tee ist inzwischen kalt und die Tasse noch halb voll - der fünf Minuten gezogene Earl Grey ist auch nach zwei Tagen einfach noch zu britisch für mich.