Samstag, 3. September 2011

Jeder in seinem Tempo, jeder auf seine Weise

Aus dem Baumarkt in Cuxhaven hatte Kristian mir ein paar Schrauben und ein paar Muttern mitgebracht. Er ist das, was viele als Weltenbummler oder Spinner beschreiben würden, mit seinem weißen Leinenhemd, seinen immer zotteligen blond-grauen Haaren und der Hingabe, mit denen er lustige Geschichten erzählt. Unsere Ziele für dieses Jahr waren zwar verschieden, aber die Richtung die gleiche – Richtung Süden. Er wollte mit seinem blauen 7,90 Meter Katamaran einhand und ohne Motor auf die Kanaren, ich mit meiner blauen 7,90 Meter Ecume mit Crew und mit Motor lediglich bis Brest/ Camaret sur Mer. Als ich ihn traf, hatte er sich gerade für 20 Euro eine alte Autobatterie gekauft und überlegte jetzt, wie er sie am besten anschließen konnte.
Nicht nur unsere Boote und unsere Idee waren sich sehr ähnlich, sondern auch unsere Erfahrung, was das Reisen mit dem eigenen Schiff betraf. Im Gegensatz zu mir war er aber schon öfter auf größeren Schiffen in der Welt unterwegs gewesen. Dass das mit dem eigenen Boot nochmal etwas ganz anderes werden würde, war uns beiden klar. Wir wollten sehen, wie weit wir kommen würden und wahrscheinlich nahmen wir uns beide gegenseitig auch nicht so ganz ernst.
Da wir in die gleiche Richtung wollten, überlegte ich, dass wir zusammen weiter fahren könnten, aber Kristian hatte einen Einwand, über den ich noch sehr lange nachdachte. Unsere Art zu reisen, meinte er, wäre einfach zu unterschiedlich.
Als wir schließlich ablegten, war er noch am basteln und ich war gespannt, ob wir uns je wieder sehen würden. Irgendwann, irgendwo bestimmt, denn man trifft sich immer zweimal im Leben. Zum einen wusste ich selbst nicht einmal wirklich, ob ich heil auf der ersten Nordseeinsel ankommen würde und zum anderen unterschied sich unsere Route doch in einem Punkt wesentlich: Ich wollte einmal quer durch die Niederlanden fahren.
Zwei Wochen später bekam ich dann eine Nachricht „50sm bis rotterdam. Wo seid ihr? Kristian“. Ja, wir waren in Amsterdam und „wir“ war auch schon lange nicht mehr „wir“ (Cuxhaven) und „wir“ (Amsterdam) würden hier auch noch mindestens eine Woche bleiben. Insgesamt verbrachte ich dann eine sehr ausgedehnte Zeit von drei Wochen auf den holländischen Kanälen für eine Strecke von eigentlich sechs Tagen. Spätestens da war ich mir sicher, dass wir uns zumindest diesen Sommer nicht mehr begegneten.
In den nächsten Tagen und Wochen passierte bei mir an Bord ziemlich viel. Nicht nur, dass es ein großes Hin und Her im Crewwechsel gab, sondern vor allem, dass ich eine ganz neue Erfahrung mit dem Segeln machte und vor allem die Grenzen meines Boots neu kennen lernte. Wenn bisher eine Kante wegen Schräglage im Wasser hing, ich so viel Druck auf dem Ruder hatte, dass ich mich mit meinem ganzen Körper dagegen stemmen musste, ich auf der Kreuz war und die Wellen um mich brachen, war ich immer ganz klein geworden und hatte ich mich verflucht, nicht richtig den Wetterbericht gelesen zu haben. Vielleicht ist es eine Sache des Vertrauens zu seinem Schiff, die man lernen muss – es wird halten. Dazu kam noch die ganze Sache mit der Strömung, die mir sehr Angst gemacht hatte, aber so ein Hokuspokus wie zunächst angenommen, war es dann doch nicht. Und auch den Reeds verurteile ich nicht mehr als bloßes Hexenwerk mit bösen Flüchen in einer unverständlichen Sprache.
Die Erfahrung das erste Mal mit anderen Menschen auf seinem Boot zu sein, die mehr konnten als ich, hatte etwas erleichterndes. Wir schliefen aus, so lange wir wollten, denn ab einer Strecke von 50 Seemeilen, war es eh egal ob wir jetzt die Strömung gegen uns hatten, oder später - durch mussten wir eh. Wenn wir abends los fuhren hatten wir sogar noch den ganzen Tag in der Stadt und konnten uns das Hafengeld sparen. Zu tun und zu sehen gab es in jedem Fall reichlich und auch so viel, dass ich Kristian und seinen blauen Katamaran schon längst irgendwo hinten in den Tiefen meines Gedächtnis verstaut hatte.
Auf Guernsey sah ich dann ein Schiff, dass mich wieder an ihn erinnerte und ich fragte mich, wo er jetzt wohl gerade war. Ich schrieb ihm eine Nachricht, bekam aber keine Antwort. Es dauerte einen ganzen Tag, bis ich ihn schließlich doch erkannte. Dann aber war die Freude groß. So groß, dass ich glatt die Jungs vergaß, die gerade im Hafenbecken am Tauchen waren um den Grund für das unrunde Laufen meiner Welle zu untersuchen. Später gab es von ihnen ein paar böse Blicke und ein paar berechtigt böse Worte. Aber ich konnte ihnen einfach so schlecht verständlich machen, warum das jetzt unbedingt so notwendig gewesen war - da fühlte ich mich lieber den Rest des Tages schlecht. Als wir uns diesmal verabschiedeten war es mit den Worten „Wir sehen uns in Camaret“ - gar keine so abwegige Behauptung, denn bis dahin war es nicht mehr weit, war er nicht schon irgendwo auf der Biskaya.

Jetzt sitze ich im Cockpit eines kleinen blauen Katamarans. Wir sind in Camaret sur Mer angekommen. Am Heck ist die Genua als Sonnensegel aufgespannt, um uns herum die Steilküste der Bretagne. Sie ist etwas grau verhangen und das Wasser ist so glatt, wie ein Spiegel, dass es wohl noch ein bisschen dauern wird, bis er weiter fahren kann. Für mich ist es das Ende der Reise für dieses Jahr. Ich bin angekommen und werde die nächsten zwei Woche noch ein wenig die Gegend erkunden und mich um ein Winterlager für mein Schiff kümmern (und natürlich noch weiterhin berichten). Für Kristian ist das hier eher eine Art Bergfest. Er hat die Hälfte der Strecke hinter sich und wie er meint, die Hälfte der Prüfungen. Aber bis zu den Kanaren ist es noch ein ganzes Stück. Er wird sie erreichen, da bin ich mir sicher, denn auf den Inseln warten seine Freundin und seine Kinder. Er ist alles andere als ein Spinner - nur ein wenig Weltenbummler vielleicht.
Nun sitzen wir hier. Jeder hat auf seinen Beinen einen Laptop stehen und ist ins Tippen vertieft. Ich bin mir sicher, wir schreiben das gleiche. Jeder in seinem Tempo, jeder auf seine Weise.

1 Kommentar:

  1. die geschichte von Kristian ist nun in der Yacht. es ist shcön wie du euer zusammen und wiedertreffen beschreibst. bin ganz nah dabei.danke dafür. musste es jetzt einfach nochmal lesen.
    scheint wie du aber auch nicht über die biscaya gekommen zu sein.

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