Mittwoch, 21. September 2011

Teatime – ein britisches Vagabundenleben

Das Schiff, auf dem ich mich befand, hieß Raparee, was irisch ist und so viel bedeutet wie Vagabund, also Herumtreiber. Ich denke allerdings, der Name kann vor allem als Kampfansage betrachtet werden. Die Crew der Raparee bestand aus den zwei Vollblutseglern Bill und Mike und versucht einer den Stereotypen eines britischen Seglers festzulegen – voilà, hier war er, verkörpert durch zwei ehemalige Mitglieder der Royal Navy. Selbstverständlich herrschte an Bord eine gute Seemannschaft, wie sie selbst Freiherr von Knigge nicht besser beschreiben könnte.

Die folgende Geschichte ist dennoch frei erfunden und lediglich in manchen Dingen von den Beiden inspiriert worden.

Pünktlich um 8 Uhr pfeift der Kessel – der Tee ist fertig. Der englische Seemann öffnet langsam erst ein Auge, dann das andere. Er hat noch eine Minute zum Aufwachen, denn er hat den Kessel inzwischen soweit erzogen, dass er den Tee selbst zubereitet: 2,5 Minuten gezogener Darjeeling für ihn mit einem Schuss Milch, aber nicht zu viel, und 1,5 Minuten gezogen für den Anderen, ohne Milch aber mit two Sweeteners, please.
Er steht auf, wechselt seinen Pyjama gegen eine légère Leinenhose in rot, ein Poloshirt in blau, ein paar Socken in weiß und dazu ein paar bequeme Moquasins aus Leder. Mit einem kritischen Blick in den Spiegel gibt er sich die Erlaubnis seine Kabine zu verlassen. Den Tee in der Hand verlässt er kurz darauf die Pantry und streckt seinen Kopf aus dem Niedergang, zieht ihn jedoch schon im nächsten Moment wieder zurück, denn er hat etwas vergessen. Auch wenn es hier im Süden schon längst Herbst ist, scheint die Sonne gnadenlos auf ihn herab. Er entscheidet sich, lieber erst einmal zu frühstücken. Mit seiner zweiten Tasse Tee steht er am Herd, rührt den Haferschleim (Porridge) im Topf herum und mit seiner dritten Tasse Tee setzt er sich mit dem Anderen in den Salon zum Essen. Während des äußerst schmackhaften Frühstücks lauschen sie dem Wetterbericht aus dem Funkgerät. Dann der Übertragung auf Kurzwelle. Dann dem Navtex. Und schließlich noch dem Bericht des BBC per Weltempfänger. Doch alle sind sich einig: Aus West sind 20 Knoten Wind angesagt – abnehmend. Das ist ganz schön viel, denkt er sich, dann können sie wohl erst später ablegen, doch wird das die ganze Planung verschieben. Zur Beruhigung trinkt er eine weitere Tasse Tee. Doch wissen sie, den freien Vormittag gut zu nutzen, because they've got so many jobs to do. So müssen sie dringend die Erste-Hilfe-Kästen neu ordnen. Die nächsten drei Stunden holen sie alle Kleinigkeiten, all die Pflaster und Verbände, die Scheren und Klebestreifen, die Pillen und die Zäpfchen aus den Taschen, sortieren sie nach Farbe und Verpackungsgröße neu und räumen alles wieder ein. Zufrieden greifen sie zu ihrer dampfenden Tasse Tee. 
Sie sind gerade rechtzeitig fertig geworden, denn es ist höchste Zeit zum Lunch. Die letzten Tage hatten sie immer sehr viel zu tun gehabt und so gibt es heute lediglich sell-by-food, eben alles, was die Bordküche noch hergibt: Kartoffeln, Baked Beans, Mais, Corneed Beef und ein Fertigcurry aus der Dose, empfohlen von Starkoch Jamie Oliver. Alles gart zusammen in einem Topf vor sich hin. Mehr Platz ist auch nicht, denn die andere Flamme belegt der Kessel mit Wasser. Mit dem Pork Pie und einer Tasse Tee als Nachtisch haben sie nun genug Energie für die bevorstehende Reise gesammelt. Noch einmal möchte er an seinem Tee nippen, doch stellt er seine Tasse abrupt wieder hin. Hat er doch vergessen, dem Hafenmeister Trinkgeld zu geben. Und - oh Schreck - hat keiner von ihnen auch nur eine Euromünze mehr. Eine Tasse Tee lang grübeln sie nun, eine Lösung aus ihrer Misere zu finden. Dann hat der Andere eine grandiose Idee: Er bewaffnet sich mit Sonnencreme, Sonnenbrille und Sonnenhut, wagt den ersten Schritt des Tages nach Draußen in die grelle Mittagssonne und tritt seine Mission an. Im Hafenrestaurant, gerade die Pier hoch, bestellt er sich einen Tee. Mit dem Wechselgeld geht er anschließend zum Hafenmeister, lässt ihm unauffällig das Trinkgeld da und kehrt zurück zum Boot – und wieder einmal hat der Anstand gesiegt. 
Der Wind hat inzwischen abgenommen. Noch einmal gehen sie ihre Checkliste durch. Das Wetter ist gut, unter Deck ist alles sicher verstaut, die Batterien sind aufgeladen, das Wasser ist nachgefüllt, genug Diesel ist im Tank und in den Reservekanistern, die Segel sind angeschlagen, die heutige Route geplant, Karten, Kartenplotter und Tee stehen bereit – es kann los gehen. Mit einer Tasse in der Hand wirft er den Motor an, der Andere löst die Leinen und sie legen ab. Noch ein paar Meilen motoren sie, bis der Kurs anliegt und sich auch sicher alles beruhigt hat. Dann endlich geht der Andere runter um neues Wasser aufzusetzen – das haben sich die Beiden nun auch wirklich verdient! 14,6 Seemeilen und 2:34 Stunden später kommen sie an ihrem heutigen Zielhafen an. Der Wind hatte mit der Zeit so sehr nachgelassen, dass es sich nicht lohnte, die Segel zu hissen, weshalb sie nun direkt unter Motor einfahren können. Nach einem aufregenden Anlegemanöver und einem netten Small-Talk zu ihren neuen Nachbarn machen sie sich ausgehfertig zum Dinner. Heute wollen sie auswärts essen, um die kulinarischen Besonderheiten des Landes kennen zu lernen. Im Hafenrestaurant bestellen sie mutig die Spezialitätenplatte, obwohl sie nicht einmal genau verstanden haben, was sie eigentlich enthält; und einen Tee. Als der Kellner sie bringt und ein Buen provecho! wünscht, gucken die Beiden fragend erst das vor ihnen Liegende an, dann sich. Es ist ein riesiger flacher Stein mit allerhand rosa bis dunkelroten Wurstsorten darauf und ein paar Stücken harten Brot - kein Grün, kein Salat, kein Dip und der Tee riecht mindestens genauso so kulinarisch. Aus Höflichkeit probieren sie von allem ein wenig und geben zu jedem einen zustimmendes Hmm..., bevor sie ihr Dinner frühzeitig für beendet erklären. Dem Kellner lassen sie ein Extratrinkgeld da, entschuldigen sich vielmals und beteuern, dass sie einfach nicht genug Hunger gehabt hätten. Müde, aber auch stolz über das heute erlebte spazieren sie zu ihrem Boot zurück. Das Einzige, was sie jetzt noch brauchen, bevor sie in ihre Pyjama schlüpfen, ins Bett gehen und ihren Tagebüchern von ihren Erlebnissen berichten, ist eine schöne Tasse frisch zubereiteter Irish Coffee.

Und eine kleine Randnotiz: Ich bin in Portugal! Aber dazu in den nächsten Tagen mehr.

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