Sonntag, 18. September 2011

Zeitzeichen

Ich wusste schon länger, dass da etwas war – irgendwo, irgendwas. Gestern Morgen im Bad hab ich es dann entdeckt. Ich wollte mir nur die Zähne putzen und auch wenn die Tube schon fast leer war hoffte ich, dass es noch dieses eine Mal reichen würde. Doch anstatt der sonst so vertrauten weiß-blauen Paste mit dem belebenden Duft frischer Minze, kletterte ein kleines Männlein mit Hut auf die Borsten meiner Bürste. Es musterte mich kurz, stützte seine kleinen Ärmchen in die Seite, legte den Kopf schief und zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

Guten Tag Merle, wir haben uns ja lange nicht mehr gesprochen, aber ich hatte mir gedacht, dass es mal wieder an der Zeit ist. Wo sind wir eigentlich gerade?
In Baiona, südlich von La Coruna.
Aha und was machen wir hier?
Naja, gerade habe ich meine Wäsche gewaschen und jetzt wollte ich an sich meine Zähne putzen.
Das meine ich nicht. Du wolltest doch nur einmal über die Biskaya und dann von La Coruna aus wieder zurück zum Boot! Du bist ganz schön inkonsequent. Irgendwann ist auch einfach mal Schluss!
Ich möchte aber noch nach Portugal.
Portugal? Aber da fährst du doch nächstes Jahr eh nochmal hin. Musst du nicht irgendwann auch wieder zurück? Und was ist überhaupt mit deinem Boot?
Auf der Biskaya hatte ich genug Zeit zum Nachdenken und da habe ich beschlossen, dass ich mit meinem Boot dort nicht rüber möchte und habe letztendlich den kompletten Plan geändert. Das heißt natürlich auch, dass ich Portugal im nächsten Jahr nicht mehr erreichen werde.
Ja, ist dann halt so!
Richtig, aber jetzt bin ich hier schon einmal in der Ecke und da Cornelius, der Schwede, mich gefragt hat, ob ich Lust hätte mit ihm weiter zu segeln, hat sich das einfach gerade so angeboten. Ich hatte von Anfang an vorgehabt zwei, bis zweieinhalb Monate unterwegs zu sein, also bin ich noch voll im Rahmen und die Uni beginnt erst Mitte Oktober wieder, also in einem Monat.
Und dein Boot?
Das bleibt bis zu den nächsten Sommerferien in Brest und wird nächstes Jahr dorthin gesegelt, wo es vor 41 Jahren gebaut wurde, nach La Rochelle.

Das kleine Männlein verdreht seine Augen. Wie schrecklich kitschig ich wäre, meint es.
Es kramt aus seinem Jackett eine kleine goldene Taschenuhr hervor, klappt sie auf, nickt kurz, packt sie wieder weg und schaut mich an. Es sei in wenigen Tagen mit dem Sandmann verabredet und bis dahin wäre es noch ein weiter Weg. Es wünscht mir einen schönen Tag, hüpft von meiner Zahnbürste und ist verschwunden. Irgendwo hat es Recht, langsam ist die Zeit wirklich gekommen. Ich bin bereits viel weiter, als ich es eigentlich geplant hatte und mir ist klar, dass alles sein Ende hat. Die letzten Tage auf der Akka zu verbringen ist das beste, was ich mir dafür vorstellen kann.

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